Shopping ist das neue Hobby. Ist es nur ein harmloses Freizeitvergnügen oder vielleicht auch Ausdruck einer Gesellschaft, die sich gründlich verrannt hat?
„Hilfe, ich habe ja überhaupt nichts zum Anziehen!“, so der altbekannte morgendliche Aufschrei vieler (Damen) vor dem Kleiderschrank. Doch handelt es sich hier wohl eher um eine Wahrnehmungsstörung als um einen Fall von gähnender Leere in besagtem Schrank. Denn die Zahlen sagen etwas ganz anderes. In Deutschland beispielsweise werden jährlich rund sechs Milliarden Kleidungsstücke verkauft, also gut siebzig neue Teile pro Nase. Dabei darf man getrost davon ausgehen, dass sich nicht jede(r) wöchentlich mit neuer Kleidung beglückt, was folglich bedeutet, dass sich einige mehrmals wöchentlich eindecken (oder eben wöchentlich mehrere Stücke kaufen). Gleichzeitig wachsen die textilen Müllberge. Zwischen 600‘000 und einer Million Tonnen Kleidungsstücke werden jährlich weggeworfen, rund fünfzehn Kilogramm pro Person. Gehen die Menschen so rasant in die Breite, dass die Kleider schon nach kürzester Zeit nicht mehr passen? Hm. Oder waren es Fehlkäufe? Nicht auszuschließen. Vor allem ist es wahrscheinlich eine typische Begleiterscheinung von ‚Fast Fashion‘.
„Kleider machen Leute“ galt gestern wie heute. Die Bedeutung hat sich jedoch gewandelt. Vor Jahrhunderten war strikt geregelt, wer sich wie zu gewanden hatte. So waren gewisse Schnitte oder Farben dem Adel oder Klerus vorbehalten und wer gegen die Kleiderordnung verstieß, musste mit zum Teil drakonischen Strafen rechnen. Entsprechend wertvoll waren Kleidungsstücke, sie waren begehrte Kriegsbeute und wurden oft über Generationen hinweg weitervererbt. Die Gebrauchsspuren an den Dingen waren durchaus geschätzt, zeigten sie doch, dass man aus einer begüterten Familie stammte. Im Elisabethanischen England gab es zum Beispiel die „Fünf-Generationen-Regel“. So lange, fünf Generationen lang, musste eine Familie einen hohen Status durch ihr Verhalten beweisen können, erst dann war es möglich, einen Adelsrang zu erreichen. Die „Patina“ auf den Dingen zeigte, ob man es mit alteingesessenem Reichtum oder mit „Neureichen“ zu tun hatte. Im 18. Jahrhundert verlor diese Regel allmählich an Bedeutung. Wer etwas auf sich hielt, zeigte seinen Wohlstand, indem er das Neuste erwarb. Patina und Tradition kamen aus der Mode, aktuelle Kaufkraft und persönlicher Geschmack war das, was zählte. Damit ging auch eine Veränderung einher, die für unser heutiges Konsumverhalten sehr prägend war. Dinge erfüllten nun auch die Aufgabe, die eigene Persönlichkeit auszudrücken und die Rolle des Individuums zu stärken. Verloren sich unsere Vorfahren vielleicht in Träumereien angesichts eines schönen Gemäldes, eines romantischen Gedichts oder eines Musikstücks, finden wir unsere ‚dream machine’ bevorzugt im Shoppingcenter. Marketing und Werbung stellen sicher, dass eine Hose mehr ist als eine Hose. Vor dem Spiegel in der Umkleidekabine werden wir zu der, die wir sein wollen. Ob wir morgen noch dieselbe sein wollen, steht auf einem ganz anderen Blatt. Denn Konstanz ist zurzeit keine Qualität. Stark ist nicht, wer seiner Identität treu bleibt, sondern wer sie immer wieder ändert. Wir bewundern Menschen, die sich immer neu erfinden.
‚Fast Fashion’ hilft uns gerne dabei, heute Prinzessin zu sein und morgen Vamp. Die ‚Schnelle Mode’ entstand in den 1980ern und 1990ern. Sie steht für eine Kleiderproduktion, welche die Trends der großen Modenschauen möglichst schnell und billig in die Läden bringt und so für die breite Masse erschwinglich macht. Benetton, Mango, Primark, Forever 21 und vor allem H & M und Zara sind die Protagonisten von Fast Fashion. Bei Zara liegen gerade mal zwei Wochen zwischen dem Augenblick, wo ein Kleidungsstück auf dem Zeichentisch entsteht, und dem Moment, wo es im Laden hängt. Auch H & M braucht nicht mehr als drei Wochen. Kleine Mengen in kurzer Folge in die Läden zu bringen, so lautet die Strategie von Zara. Zweimal pro Woche werden die Geschäfte in Deutschland mit neuen Waren beliefert. Die ständig wechselnden Kollektionen locken die Kunden häufiger in die Läden, die kleinen Mengen machen die Ware begehrenswerter. Wem ein Kleidungsstück gefällt, der muss es sofort kaufen, denn in der folgenden Woche ist es schon nicht mehr erhältlich. Der Rivale H & M verdient außerdem prächtig mit den limitierten Kollektionen namhafter Designer; Entwürfe von Stella McCartney und Karl Lagerfeld zum Billigstpreis. Die Kleider sind häufig innerhalb weniger Stunden ausverkauft – und tauchen oftmals kurze Zeit später zum doppelten Preis bei eBay wieder auf. Doch auch dann sind sie noch ein Schnäppchen, weil immer noch um ein Mehrfaches billiger als das ‚normale’ Sortiment der entsprechenden Designer. Da darf das Schnäppchen auch 400 Euro kosten... Nebenbei bemerkt werden gerade sogenannte ‚Schnäppchen’ meistens nicht gekauft, weil man das Produkt benötigen oder begehren würde, sondern weil man dabei sparen kann. Im Ex-tremfall ist die Summe, die man ‚gespart’ hat, wichtiger, als das, was man gekauft hat. Wobei paradoxerweise vergessen wird, dass man ja mehr gespart hätte, wenn man nichts gekauft hätte...
Früher gab es eine Frühlings-/Sommer-Kollektion und entsprechend eine Herbst-/Winter-Kollektion mit jeweils anschließendem Ausverkauf. Diese Zeiten sind längst vorbei. Die Modegiganten werfen jährlich acht, zehn oder noch mehr Kollektionen auf den Markt. Ausverkauf ist somit dauernd, denn in den Läden muss ja Platz geschaffen werden für die neuen Klamotten. Sollten sich die Modehäuser in den Mengen vertan haben, helfen sie auch mal nach. So berichtete die New York Times im Januar 2010 von brandneuen Kleidern, die, untragbar gemacht durch Zerschneiden oder Durchlöchern, von H & M und Walmart unweit ihrer Filialen in Manhattan entsorgt worden waren.
Die Konsumenten scheint das nicht zu stören, genauso wenig wie die häufig miese Qualität der von den Billiganbietern verkauften Kleidung. Warum sich darüber ärgern, wenn das T-Shirt nach dreimaligem Tragen futsch ist? Wenn es doch nur 4 Euro 95 Cent kostet statt der üblichen 25 Euro, kann man es für denselben Betrag noch viermal ersetzen und zwar immer in der nächsten brandaktuellen Farbe. Dass bei fünf T-Shirts auch fünfmal mehr ‚Fast Fashion-Nebenwirkungen’ entstehen, wird nicht bedacht. Denn die Modeindustrie zieht eine Spur der Verwüstung hinter sich her. Nebst dem stetig zunehmenden Textilmüll geht es auch um Themen wie Wasserverbrauch (für die Produktion von eineinhalb Kilo Baumwolle sind fünfzehntausend Liter Wasser nötig), Pestizideinsatz (hundertfünfzig Gramm pro T-Shirt), sklavenähnliche Arbeitsbedingungen in Billigstlohnländern, Kinderarbeit, Umweltbelastung durch die Transportwege etc. Dass bei Zara die neuen Modelle so schnell in den Regalen liegen, kommt nicht von ungefähr: Was ein Lastwagen nicht innerhalb von sechsunddreißig Stunden von Spanien in die Filialen bringen kann, wird per Flugzeug verschickt. H & M ist etwas langsamer, weil ein Großteil der Warentransporte auf der Schiene oder zu Wasser erfolgt.
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