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US-Militär in Afghanistan: Drogenbekämpfung, nein danke!

Die Korruption in Kabul sei für die schleppende Drogenbekämpfung in Afghanistan verantwortlich, konnte man in der »Süddeutschen Zeitung« vom 26./27. Juli 2008 lesen. Staatspräsident Karsai lasse die Drogenbarone gewähren und nehme Korruption in Kauf, berichtete die »Süddeutsche« über einen entsprechenden Artikel in der »New York Times«. Die eigentliche Sensation aus dem Artikel erwähnt die »Süddeutsche« jedoch nur am Rande, nämlich dass niemand anderer als das Pentagon die wirksame Bekämpfung des Opiumanbaus behindert. Muss man denn alles selber lesen?

Immer, wenn ein Jugendlicher in unseren Städten Heroin »drückt«, wurde der Stoff rein rechnerisch zu 95 Prozent aus Opium aus dem US- und EU-Protektorat Afghanistan hergestellt. Während der Besatzung seit 2001 stieg das Land  zum fast alleinigen Opiumproduzenten der Welt auf (mit sagenhaften 95 Prozent Marktanteil).

Einer, der sich damit auskennt, ist der Amerikaner Thomas Schweich. Von 2006 bis 2008 war er in der US-Botschaft in Afghanistan verantwortlich für den Kampf gegen den Drogenanbau. Zunächst sieht sein Erfahrungsbericht auf der Website der New York Times nur wie eine dringend notwendige Apologetik aus: Pleiten, Pech und Pannen, Korruption, Unfähigkeit und Ängstlichkeit würden eine wirksame Drogenbekämpfung in Afghanistan verhindern, so die oberflächliche Botschaft des  Artikels.  Eine seltsame Allianz aus ängstlichen Europäern, kurzsichtigen Medien, korrupten Afghanen, engstirnigen Pentagon-Offizieren, politisch motivierten Demokraten und – Mensch! – den Taliban würde die Umsetzung eines wirksamen Anti-Drogenprogramms verhindern.

In Wirklichkeit, und das geht bei der Süddeutschen glatt unter, birgt Schweichs Bericht jedoch jede Menge Sprengstoff. Denn wer Augen hat zu lesen, der liest. Karsai? Gut und schön. Aber der eigentliche Boss in Afghanistan ist nun mal das Pentagon. Und das sabotiert die Drogenbekämpfung zu Wasser, zu Lande und in der Luft. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: Die einzig wirksame Bekämpfung der Opium-Plantagen, nämlich die aus der Luft, ist den Generälen ein Greuel. Als der US-Botschafter in Afghanistan, William Wood, ein massives Vernichtungsprogramm aus der Luft gefordert habe, sei klar gewesen, dass man dies Präsident Karsai »und dem Pentagon« unmöglich würde verkaufen können, so Schweich.

»Das Pentagon stand dem Anti-Drogenkampf feindlich gegenüber«, erzählt der Drogenbekämpfer. Drogen hätten für das US-Militär in Afghanistan keine Priorität, zitiert Schweich einen hohen US-General. Die US-Anti-Drogenbehörde D.E.A. hätte »nicht enden wollende Schwierigkeiten« gehabt, vom Pentagon versprochene Helikopter und andere Ausrüstungen zu bekommen. Folgerichtig wären die Versuche, den Drogenanbau zu unterbinden und Drogenhändler festzunehmen, gescheitert.

Die Schwierigkeiten hätten sich verstärkt, als Ende 2006 der US-Kommandeur der Ostfront, General Benjamin Freakley, sämtliche Operationen der D.E.A.  und der afghanischen Drogenpolizei in der zentralen Drogenprovinz Nangarhar gestoppt habe: »Der General sagte, dass Drogenbekämpfung ein unnötiges Hindernis für seine militärischen Operationen darstellen würde«.

»Wenn wir ohnehin die Stellungen der Taliban bombardieren, warum besprühen wir nicht ihre Felder mit einem harmlosen Pflanzengift und schneiden damit ihre Finanzierung ab?«, habe sich auch ein amerikanischer Anti-Terrorexperte gewundert.

Auch ein Strategiepapier zur Drogenbekämpfung hätten die Pentagon-Leute torpediert: »Zwei hohe Pentagon-Offizielle haben mir doch tatsächlich mit beruflichen Folgen gedroht, falls wir das nicht geheime Papier veröffentlichen würden.«

Ebenso ablehnend habe das Pentagon militärischem Begleitschutz für die Vernichtung von Opiumfeldern gegenüber gestanden, woraufhin diese gescheitert sei: »Karsai und seine Pentagon-Freunde durchkreuzten den Plan«, so Schweich.

Als diesen Frühling neue und erfahrene US-Truppen nach Afghanistan gekommen seien, hätten sie erklärt, der Opium-Ernte nicht in die Quere kommen zu wollen. Das sei »nicht unser Job«, so die Erklärung laut Schweich. Nun ist die Sicherung des Nachschubs natürlich eine der vornehmsten Aufgaben des Militärs. Neu dagegen ist, dass dazu auch der Drogen-Nachschub gehört. Besonders bizarr:  

Die US-Kommandeure wollten »die Vernichtung der Felder nur erlauben, wenn das Außenministerium den Bauern eine großzügige Entschädigung für ihre Opiumpflanzen zahlen würde«. »Bezahlung für Vernichtung ist aber eine verheerende Anti-Drogenpolitik«, so Schweich. »Wenn man Opiumpflanzen bar bezahlt, behalten die Bauern das Geld und pflanzen nächstes Jahr für noch mehr Geld noch mehr an. Und Bauern, die weniger lukrative Pflanzen anbauen, wechseln zum Opiumanbau, damit sie das Geld ebenfalls bekommen können. Drogenexperten nennen solche Angebote ›perverse Anreize‹.  Das hat noch nie irgendwo in der Welt funktioniert, und es würde auch in Ost-Afghanistan nicht funktionieren. Die Bauern standen Schlange, warteten auf die Vernichtung ihrer Pflanzen und bekamen das Geld.«

Ein regelrechtes Programm zur Förderung des Drogenanbaus also, was das Militär da vorschlug.

Es habe aber noch einen schlimmeren Feind der Drogenbekämpfung in Afghanistan gegeben, und das seien die Briten gewesen: Das Britische Außenministerium unterstützte die Drogenbekämpfung zwar, aber nur mit einer wichtigen Ausnahme: der Vernichtung der Opiumfelder aus der Luft. Das aber ist bei den gewaltigen Anbauflächen die einzig erfolgversprechende Methode. Das britische Militär sei der Drogenbekämpfung noch feindlicher gegenüber gestanden, als das amerikanische. Die britischen Militärs hätten den »lokalen Kriminellen« sogar mit Flugblättern und im Radio erklärt, dass sie nicht Teil der Anti-Drogen-Kampagne seien. Die mit Millionen Pfund britischer Hilfe gebauten Straßen würden dazu benutzt, die Drogen noch schneller durchs Land zu transportieren.

Aber mal Hand aufs Herz: Die ganze Geschichte mit den Taliban und den Drogen ergibt sowieso keinen rechten Sinn. Denn die Taliban mögen ein Schreckensregime geführt haben oder auch nicht – den Opiumanbau bekämpften sie so radikal, dass die Exporte bis 2001 praktisch auf Null gesunken waren. Drogen und Islam vertragen sich nun mal schlecht.

»Zu den fünf Hauptzielen der islamischen Rechtslehre gehören die Prinzipien ›Schutz des menschlichen Lebens‹ und ›Schutz des menschlichen Verstandes‹«, heißt es auf der Website des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD).

Schutz des menschlichen Verstandes? Eine richtungweisende Idee. Warum gibt es sowas nicht im Christentum?

»Deshalb verbietet der Islam Mittel und Handlungen, die der Unversehrtheit der Gesundheit und der Klarheit des Verstandes schaden.«

»Drogen, die die Bewusstseinslage beeinträchtigen, dürfen für nicht- medizinische Zwecke nicht angewandt werden«, so der ZMD. »Das Verbot erstreckt sich auf Anbau, Herstellung, Vertrieb und Verbrauch (...), solange dieses nicht im Rahmen der medizinischen Notwendigkeit bleibt.«

Dass die Taliban früher die Opiumplantagen radikal vernichteten, ist damit logisch.

Dass sie heute ihren Kampf mit denselben Drogenplantagen finanzieren sollen, dagegen nicht.

Dass die britischen und amerikanischen Warlords den Drogenanbau schützen, vielleicht schon – denn das afghanische Opium repräsentiert jedes Jahr einen Marktwert von grob geschätzt 100 Milliarden Dollar. Nur ein winziger Bruchteil davon bleibt in Afghanistan.


Quelle & Copyright: Gerhard Wisnewski