Eigentlich müßte man Erdöl das ‚rote’ Gold nennen – soviel Blut klebt an ihm. Was den Wohlstand der industrialisierten Welt vordergründig in ungeahnte Höhen führte, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Geißel für die ganze Menschheit.
45 Millionen Dollar jede Stunde. Mehr als eine Milliarde Dollar jeden Tag. Soviel Reingewinn scheffelte der weltgrößte Mineralölkonzern ExxonMobil (Esso) während des dritten Quartals 2005, insgesamt 9,9 Milliarden US-Dollar. Dank Höchstpreisen für das schwarze Gold konnten die Ölriesen beispiellose Rekordgewinne verbuchen. Zusammen verdienten die fünf größten von Juli bis September 2005 ganze 33,6 Milliarden Dollar.
Ein Gewinn von 33’600 Millionen Dollar in nur drei Monaten. Just in jenen, wo die Preise für Benzin und Heizöl (angeblich) als Folge der durch die Hurrikane „Katrina“ und „Wilma“ verwüsteten amerikanischen Erdölraffinerien auf schwindelerregende Höhen von über 70 Dollar pro Faß geklettert waren und gerade in Amerika manch einen Bürger in Schulden stürzten. Da kam sogar vielen Politikern in Washington die Galle hoch. „Falls es welche gibt, die die freie Marktwirtschaft ausnutzen, um sich selbst und ihren Unternehmen auf Kosten aller Amerikaner Vorteile zu verschaffen, dann sollten sie bloßgestellt werden und sich schämen“, schimpfte Ende Oktober 2005 Bill Frist, der Fraktionsführer der Republikaner im amerikanischen Senat. Rasch angesetzte Kongreßanhörungen sollten genau diese Frage klären. So mußten am 9. November 2005 fünf Ölbarone den Politikern Red und Antwort stehen. Doch das ganze war eine Farce. Senator Ted Stevens, Vorsitzender des Anhörungskomitees, hatte sich nämlich geweigert, die Konzernchefs von ExxonMobil, Chevron, BP America, Shell Oil und ConocoPhillips unter Eid aussagen zu lassen. Statt dessen durfte man sie nur höflich befragen, worauf sie ebenso höflich Ausreden von sich gaben. Man muß eben wissen, daß der aus Alaska stammende Sentator Stevens für seinen letzten Wahlkampf über 100'000 Dollar Spendengeld von der Ölindustrie erhalten hatte.
Wenn man die Geschichte des Erdöls betrachtet, erübrigt sich die Frage, ob Ölbarone von rücksichtsloser Geldgier getrieben sind, denn die Antwort offenbart sich von selbst. Als erstes Unternehmen überhaupt hat es ExxonMobil geschafft, in einem einzigen Quartal über hundert Milliarden Dollar Umsatz zu erwirtschaften. Das ist mehr als das jeweilige Bruttoinlandsprodukt aller Länder bis auf die 57 größten der Welt. Eine solch geballte Wirtschaftsmacht ist nicht allein durch die Mechanismen der freien Marktwirtschaft gewachsen, wie wir sehen werden. Der erbitterte Kampf ums Öl zieht sich wie ein verborgener roter Faden durch das 20. Jahrhundert und machte es zu einem der blutigsten in der Geschichte der Menschheit. Das eigentliche Unheil aber, welches zwangsläufig zur Weltdiktatur der Konzerne führen mußte, nahm schon vor bald zweihundert Jahren Gestalt an.
Damals nämlich erblickte die menschenverachtende Idee des globalen Freihandels das Licht der Welt. Ausgebrütet worden war sie in den Bankiersköpfen der Londoner City. Sie hatten das britische Parlament bereits 1820 dazu gebracht, eine Grundsatzerklärung zu verabschieden, wonach sich die Gesellschaft künftig freiwillig dem Automatismus der Marktwirtschaft zu unterwerfen hätte. Damit stellte man die Interessen des Freihandels über das Wohl des Volkes, denn wo nur noch die Gewinnspanne zählt, „macht der Freihandel aus der Nation einen gigantischen Kleinkrämer“ (US-Ökonom E. Peshine Smith).
1846 setzten die Londoner Banken schließlich durch, daß man die Korngesetze aufhob, welche die Nahrungsmittelversorgung der englischen Bevölkerung mit eigenen Produkten sicherstellten. Sofort wurde England von billigen landwirtschaftlichen Gütern aus den Kolonien überschwemmt, die Preise rutschten ab und viele heimische Bauern wurden in den Ruin getrieben. Irland, das den Engländern als billige Kornkammer gedient hatte, traf der Preiszerfall besonders hart. Der „Wirtschaftsliberalismus“ der Londoner City zog den Iren buchstäblich die sowieso schon karge Existenzgrundlage unter den Füßen weg und führte noch im gleichen Jahr zu einer schrecklichen Hungersnot.
Derweil lief das Geschäft für die Banken wie geschmiert (auch wegen des lukrativen Opiumhandels, den ihre Ostindien Gesellschaft zur gleichen Zeit aufzog). Der internationale Liberalismus und der Versuch, andere Nationen am wirtschaftlichen Aufkommen zu hindern, führten dazu, daß man die britische Wirtschaft vernachlässigte und nicht mehr schützte, wie dies in anderen Staaten der Fall war. Das löste eine Wirtschaftskrise aus, die man in der Londoner City als Ausgleich der hohen Gewinne gerne in Kauf nahm.
Längst gab nämlich die Finanzwelt die Fahrtrichtung des englischen Staatsschiffes – und damit des größten Imperiums der damaligen Welt – vor. Ihr eigennütziges Profitdenken, das heute hinter wohlklingenden Wirtschaftsbegriffen verborgen den ganzen Erdball verseucht, sollte in späteren Jahrzehnten aus dem Erdöl eine Waffe formen, die weit mehr Menschen umgebracht hat als die Atombomben von Hiroshima und Nagasaki.
„Seit 1873 beobachtete die Welt den wirtschaftlichen Niedergang des britischen Empire und den Aufstieg anderer Industrienationen in Europa, allen voran das Deutsche Reich“, schreibt F. William Engdahl in seinem Werk Mit der Ölwaffe zur Weltmacht. Am Vorabend des 1. Weltkrieges hatte die deutsche Stahl- und Eisenproduktion die britische bei weitem überflügelt und die Steinkohleförderung lag bereits gleich auf. Die deutsche chemische Industrie erwarb sich die Vormachtstellung in der Welt und das massiv ausgebaute Eisenbahnnetz erlaubte den raschen und billigen Transport industrieller Güter. Deutschland setzte im Gegensatz zu Großbritannien auf technologischen Fortschritt und mauserte sich zur wichtigsten Industrienation Europas.
Eine Nation, die Handel treiben wollte und zu diesem Zweck eine große Schiffsflotte aufbaute. Gleichzeitig wuchs auch die deutsche Kriegsmarine an, bis sie zu einer ernsten Konkurrenz für die Marine Ihrer Majestät wurde. Großbritannien sah sich zum Handeln gezwungen, gründete die Macht des britischen Empires doch maßgeblich auf der britischen Vorherrschaft zur See. Denn nur so konnte Großbritannien ungehindert in das Wirtschaftsleben fremder Nationen eingreifen und verhindern, daß andere Länder sich mit einer eigenen Flotte florierende Handelsbeziehungen aufbauten.
Dem aufstrebenden Deutschen Reich mußten also ein für alle mal die Flügel gestutzt und die Machtverhältnisse auf dem Kontinent im Sinne Großbritanniens wieder ausbalanciert werden. Das war der wahre Grund für den 1. Weltkrieg.1
Es ist ein wenig bekanntes Detail der Geschichte, daß nicht Waffenstärke, sondern Erdöl den Ausgang des „Großen Krieges“ bestimmte. Bereits 1882 hatte Admiral John Fisher gefordert, die britische Kriegsmarine von umständlicher Kohlefeuerung auf den neuen Brennstoff Erdöl umzustellen. So ließen sich die Schiffe viel schneller betanken und wiesen dank den verbesserten Ölmotoren und dem sparsameren Verbrauch einen viermal größeren Aktionsradius auf als eine Flotte mit Kohlefeuerung. Mit dem Ersten Weltkrieg begann das Zeitalter des Luftkrieges, der beweglichen Panzerschlachten und der raschen Marineeinsätze. Doch all diesem lag die ausreichende Versorgung mit Treibstoff zugrunde.
Erdöl war also schon damals von strategisch höchster Wichtigkeit. Deshalb wollte sich Großbritannien die uneingeschränkte Kontrolle über die wichtigsten Lagerstätten des Rohstoffs der Zukunft sichern. Und diese liegen noch heute im Nahen Osten, der zu jener Zeit noch Teil des Osmanischen Reiches war.
Bereits 1888 hatte ein deutsches Konsortium vom Sultan von Konstantinopel (heute Istanbul) die Erlaubnis erhalten, eine Eisenbahnlinie von Berlin bis nach Bagdad zu bauen. Wäre sie realisiert worden, hätte sich den Deutschen der ganze Nahe Osten mit seinen Ölvorkommen erschlossen, waren mit dem Bau doch auch Ölförderrechte verbunden.
Eine Allianz mit den Ottomanen hätte dem Deutschen Reich nicht nur grenzenlose Mengen an Erdöl verschafft, sondern über die türkischen Kriegshäfen in den Dardanellen auch großen militärischen Einfluß im östlichen Mittelmeer, das Großbritannien als seine eigenen Pfründe betrachtete.
Der Bau dieser Eisenbahnlinie mußte also unter allen Umständen verhindert werden. Aber wie? Da ihre Streckenführung weit im Landesinneren verlief, waren die Bahnschienen für die britische Flotte nicht angreifbar. Es gab indes einen Landstrich, der Berlin von den türkischen Seehäfen trennte und keinem der beiden Reiche unterstand: Serbien. So zettelte Großbritannien die blutigen Balkankriege (1911/12) an. Wenig später sollte dort der österreichische Thronfolger ermordet werden, was bekanntlich noch heute als Grund des Ersten Weltkriegs gilt.
Um den Deutschen zuvorzukommen, annektierte England mit Hilfe eines korrupten Scheichs das heutige Kuwait als „britisches Protektorat“. Dem „kranken Mann am Bosporus“ blieb nichts anderes übrig, als dagegen zu protestieren, war Kuwait doch Teil des Osmanischen Reiches gewesen. Der geschmierte Scheich bedankte sich bei den Briten mit einer Konzession auf alle Ölförderungen in Kuwait und dem heutigen Irak. Die Ölvorkommen im Iran sicherte sich die britische Regierung, indem sie 1913 unter strengster Geheimhaltung die Mehrheit an der Anglo-Persischen Ölgesellschaft aufkaufte, welche exklusive Förderrechte in Persien besaß und später unter dem Namen British Petroleum (BP) weltbekannt wurde.
Mit dem Feldzug nach Rumänien wollte das Deutsche Reich die Ölraffinerien und Förderanlagen von Steaua Romana erobern, die britische, französische und niederländische Firmen aufgebaut hatten. Es blieb während des Ersten Weltkrieges die einzige Quelle, von wo Deutschland den Brennstoff für seine Kriegsmaschinerie beziehen konnte. Im Frühjahr 1918 besetzten britische Truppen die Ölfelder von Baku am Kaspischen Meer und schnitten dem deutschen Generalstab die dringend benötigte Ölversorgung für die letzte Offensive im Westen ab. Engdahl schreibt: „Nur wenige Wochen danach mußte Deutschland um Waffenstillstand bitten, obwohl sich in den letzten Monaten zuvor militärisch ein deutlicher Sieg über die alliierten Truppen abgezeichnet hatte.“
Um ein Haar wäre es indes anders gekommen: Im Dezember 1917 stand die französische Armee vor der Kapitulation, weil ihr das Erdöl ausgegangen war. Kriegsminister Clemenceau schickte einen dringenden Appell an den amerikanischen Präsidenten Wilson, worin stand: „Die Sicherheit der Alliierten steht in Frage. Wenn die Alliierten den Krieg nicht verlieren wollen, dann dürfen Sie Frankreich für den Fall einer deutschen Großoffensive nicht das Öl vorenthalten, das auf den Schlachtfeldern von morgen so unentbehrlich ist wie das Blut.“
Die französischen Verbände wurden umgehend von Rockefellers Standard Oil Company mit dem dringend benötigten Treibstoff versorgt. Und so konnte der britischer Außenminister Lord Curzon am 21. November 1918 während einer Siegesfeier verkünden: „Die Alliierten wurden auf einer Welle des Öls zum Sieg getragen.“
Nach dem Ersten Weltkrieg lag das besiegte Deutschland wirtschaftlich am Boden und dem „kranken Mann am Bosporus“ hatte das Britische Empire den Todesstoß versetzt. Damit war der Weg zu den Ölfeldern des Nahen Ostens frei geworden. Bereits 1916 hatten Großbritannien, Frankreich, Italien und Rußland in einem Geheimabkommen das Osmanische Reich mit seinem Erdöl unter sich aufgeteilt. Dieses Abkommen beweist, daß die Briten nicht im Traum daran dachten, die arabischen Stämme nach ihrer erfolgreichen Auflehnung gegen die Türkenherrschaft in die Unabhängigkeit zu entlassen, wie es ihnen vom berühmten „Lawrence von Arabien“ wider besseres Wissen versprochen worden war. Mit dieser (willkürlichen) Zerstückelung des Osmanischen Reiches legten die europäischen Siegermächte den Grundstein für die bis heute anhaltenden Spannungen im Nahen Osten.
Worum es Großbritannien im Ersten Weltkrieg vor allem ging, offenbaren seine Truppenbewegungen. „Während Frankreich in furchtbaren und sinnlosen Materialschlachten in dem Grenzgebiet zu Deutschland gebunden war, warf England einen erstaunlich großen Teil seiner eigenen Truppen, nämlich 1,4 Millionen britische Soldaten, auf den Kriegsschauplatz des Nahen Ostens. Den Franzosen sandte es Hilfstruppen und Kanonenfutter aus seinen indischen und afrikanischen Kolonien“, merkt Engdahl in seinem Buch an. Selbst nach Kriegsende waren noch immer gut eine Million britische Soldaten in Nahost stationiert, was den Persischen Golf 1919 zu einem „britischen Binnensee“ machte.
Hatte Großbritannien vor Kriegsausbruch nur etwa zwölf Prozent der weltweiten Erdölvorkommen kontrolliert, so konnte es bis 1925 den weitaus größten Teil davon in seine Hand bringen. Wirtschaftlich ging es mit England wegen des von der Londoner City ruchlos betriebenen Freihandels bergab, also wollte man sich statt dessen die Macht über das neue Herzblut der globalen Wirtschaft sichern. Das Geheimnis der britischen Ölpolitik lag darin, daß Regierung, Geheimdienste und Ölfirmen so eng zusammenarbeiteten wie in keinem anderen Land. Nicht nur die spätere BP, sondern auch Royal Dutch Shell befand sich trotz ihres Namens fest in britischer Hand. Bereits 1897 hatte die kleine Firma Royal Dutch Oil Company nämlich mit der großen Londoner Schiffahrtsgesellschaft Shell fusioniert. Als wichtigster Geldgeberin für Shell’s Kampf gegen die amerikanische Konkurrentin Standard Oil von Rockefeller erwies sich schon bald die mächtige Bankiersfamilie der Rothschilds, deren Einfluß in der Londoner City noch heute tonangebend ist.
Nach dem Großen Krieg wähnte sich Großbritannien auf dem Zenit seiner Macht. Dabei gab es nur ein Problem: Das Empire war hochverschuldet, denn den Sieg über das Deutsche Reich hatte man mit geliehenem amerikanischem Geld errungen. Auch Frankreich und Italien standen bei den Amerikanern in der Kreide. Im Januar 1915 war das amerikanische Bankhaus J. P. Morgan ermächtigt worden, sämtliche Kriegseinkäufe der Alliierten nach eigenem Gutdünken zu tätigen. Damit hatte man der New Yorker Privatbank eine beispiellose politische und finanzielle Macht gewährt. Auch der Wiederaufbau Europas geschah mit amerikanischem Geld – zu Bedingungen, die Morgan und seine Kumpane diktierten. Morgan finanzierte nicht bloß Hitlers Aufstieg,2 sondern hatte zuvor schon Mussolini an die Macht verholfen, weil dieser die Löhne drückte, die Gewerkschaften zerschlug und Sparmaßnahmen durchsetzte, damit Italien seine Schulden pünktlich in New York abliefern konnte.
Die US-Hochfinanz hatte Blut geleckt und beschlossen, es sei an der Zeit, Großbritannien den globalen Führungsanspruch zu entreißen. Engländer und Amerikaner begannen, sich um die globalen Ölvorräte zu streiten. 1928 raufte man sich schließlich zusammen und definierte, wer wo im Nahen Osten Öl fördern sollte. Die „anglo-amerikanischen Ölinteressen“ waren geboren, und mit ihnen eines der mächtigsten Kartelle der Welt, das unter dem Namen „Sieben Schwestern“ bekannt wurde. Ihm gehörten die fünf amerikanischen Firmen Exxon/Esso, Chevron, Mobil Oil, Gulf Oil und Texaco an, sowie die britischen Unternehmen Royal Dutch Shell und British Petroleum (letztere nannte sich damals noch Anglo-Persische Ölgesellschaft). In Wirklichkeit bestand dieses Kartell jedoch nicht aus sieben Schwestern, „sondern war eher ein Einzelkind, das auf sieben verschiedene Namen hörte“ (Engdahl).
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