Der Mensch fürchtet das Feuer und liebt es dennoch. Er fühlt sich ihm verbunden, und weiß nicht warum. Das Feuer-Element nährt das Leben auf vielfältigste Weise. Und es zeigt uns, was wir Menschen eigentlich sind.
Auch die Bibel ist voller Beschreibungen von sakralen Scheiterhaufen, Weihrauchgefäßen und Altären, wo die Opfergaben an Gott ins Feuer gegeben wurden. Auf dem Berg Horeb sprach Gott in einem brennenden Dornbusch zu Moses, der sein Volk des Nachts durch die die Wüste führte, indem er einer himmlischen Feuersäule folgte (statt daß er mal nach dem Weg gefragt hätte!) In der christlichen Symbolik nimmt das Feuer eine herausragende Stellung ein – kein Wunder, übernahm doch die frühchristliche Kirche einige der Riten der persischen Feuermystiker, welche diese im Schatten der Katakomben praktiziert hatten. Die Anhänger des persischen Eingeweihten Zoroaster (oder: Zarathustra) sahen im Feuer das Symbol von Ahura Mazda, der höchsten Macht des Lichtes, durch dessen Manifestationen das ganze Universum überhaupt erst erschaffen wurde.
Das gnostische Christentum, das seine Wurzeln in der ägyptischen Tradition hat, bewahrte die tiefere Bedeutung der alten Mysterien besser als die römisch-katholische Kirche, deren Rituale und Symbole meist nur noch die leere äußere Hülle längst vergessener mystischer Weisheiten sind. Die beiden Gründer der gnostischen Schule, Simon der Syrer und Basilides der Ägypter, lehrten, das Feuer sei das erste aller Prinzipien, und die Welt habe Form angenommen, als das Feuer aus seinem eigenen flammenden Zustand herabgestiegen und erst Luft, dann Wasser und schließlich zur festen Erde geworden sei. So hätten die drei niederen Elemente ihren Ursprung im Feuer des Himmels, genauso, wie der Schöpfer drei Arten von Feuer aus seinem Wesen hervorgebracht habe, die seither in der Heiligen Dreifaltigkeit personifiziert würden.
Der gnostischen Lehre nach ist Bewegung (oder Schwingung) der aktive Ausdruck des ewigen Lebens, der mit einer himmlischen oder unsichtbaren Flamme symbolisiert wird. Dieses farblose Licht durchdringt alle Substanz, erfüllt das ganze Universum und strahlt seine göttliche pulsierende Kraft gleichermaßen in die Sternenkörper des Makrokosmos und die atomischen Monaden des Mikrokosmos. Jenes unsichtbare herrliche Feuer ist der erste Ausdruck Gottes, von dem Pythagoras lehrte, es brenne ewiglich auf dem großen Altar im Herzen des Universums, so wie der Altar von Vesta im Zentrum eines jeden Heimes stehe.
In unseren modernen Wohnungen brennt längst kein Feuer zu Ehren der Vesta mehr, und zum zentralen Platz unseres Heimes haben wir meistens den Fernseher erkoren, dessen kalt flimmerndes Licht uns jeden Abend vor die Mattscheibe bannt. Wir mögen zwar die mystische Bedeutung der Flamme vergessen haben, doch das Feuer fasziniert uns nach wie vor. Wer hat nicht schon gebannt in die tanzenden Flammen eines knisternden Holzfeuers gestarrt oder sich im Anblick einer brennenden Kerze verloren? Sogar an Rockkonzerten dürfen die Feuerzeuge oder Wunderkerzen nicht fehlen, wenn die Reihe an den Balladen ist – Das Feuer erinnert uns an die lebendige Flamme in unserem Herzen. Denn wir Menschen sind Feuerwesen.
In den Mythen der Menschheit gab es viele Feuergötter. Die meisten von ihnen sind unter dem Staub der Vergessenheit erloschen. Nicht so Pelé, die Tochter von Mutter Erde und vom Vater des Himmels. Sie erhielt die Kraft, Steine zu schmelzen und Berge zu schaffen, um beiden nahe zu sein. Die Hawaiianer sind ihr Volk, das sie verehrt und fürchtet. Zahllos sind die Anekdoten von ihrem berüchtigtem Jähzorn und ihrer Launenhaftigkeit. Wird sie gereizt, stampft sie wütend auf die Erde und der Boden explodiert mit tosendem Krachen, worauf sich glühend heiße Lava über das Land ergießt. So haben Straßenkarten auf der Insel Hawaii wenig Bestand, weil die Lava ihnen einen Strich durch die Rechnung macht. Auf Big Island, der größten Hawaiianischen Insel, sind die Straßenarbeiter ständig im Einsatz. Denn die „Große Insel“ ist das traditionelle Heim von Pelé. Dort, im Südosten, erhebt sich der Vulkan Kilauea 1200 Meter übers Meer. In seinem Krater befindet sich die „Feuergrube“ Halema’uma’u – das „ewige Heim“ – wo sich die Feuergöttin Pelé vor Urzeiten niederließ, nachdem sie angeblich von Insel zu Insel gehüpft war. So pilgerten die Hawaiianer früher regelmäßig zum Kilauea, nahmen am Kraterrand Dampfbäder zur spirituellen Reinigung und brachten Pelé Gebete und Gesänge dar. Zudem legten sie als Opfergabe Früchte – vor allem Beeren des ihr heiligen Ohelo-Strauchs – an den Kraterrand. Das tun manche noch heute, obwohl die Beeren unter dem Einfluß der weißen Einwanderer jetzt meistens durch eine Flasche Gin ersetzt werden, welche die Einheimischen in den Krater hineinwerfen – damit kein Tourist sie stibitzen kann…
Auf einer Vulkaninsel wie Hawaii kann es sicher nicht schaden, wenn man dafür sorgt, daß die Feuergöttin ständig leicht beduselt und damit etwas schläfrig ist. Wohldosierte und dennoch spektakuläre „Zornesausbrüche“ von Pelé sind zwar gut für das Geschäft mit den Fremden, doch wenn die hitzige Göttin ganze Dörfer unter ihrer Lava bedeckt, wie das 1990 mit Kalapana geschah, hört der Spaß auf. Wo die Hawaiianer früher Pelé als Schöpfergöttin verehrten, fürchten sie sie heute vor allem als Zerstörerin – wenn sie denn überhaupt noch an sie glauben.
Das tut dem Verkauf von Pelé-T-Shirts keinen Abbruch, und in der offiziellen Touristen-Landkarte des Hawaii Volcanoes National Park wird noch immer auf den „eruptiven Geist“ hingewiesen, „den wir als Pelé kennen“. Vielleicht fühlt sie sich sogar geschmeichelt, denn dort steht: „Bezaubernd ist ihre Schönheit, wenn ihre Augen blitzen mit der Explosion einer Eruption.“ Wer erkennt aber heute tatsächlich noch im Ausbruch eines Vulkans das bewußte Wirken einer Intelligenz?! Die rationale Erkenntnis der Wissenschaft hat das kindliche Staunen, die Bewunderung für die Schöpfung, verdrängt. Wir wissen heute, wie die Inseln von Hawaii entstanden sind und warum es dort noch immer aktive Vulkane gibt. Pelé hat in dieser wissenschaftlichen Gleichung keinen Platz mehr – oder etwa doch? Immerhin ist es interessant, daß ausgerechnet Pelé als einzige der einst vielen Feuergötter der menschlichen Mythologie noch immer (mehr oder weniger) verehrt wird.
Obwohl wir die Vorgänge in der Natur immer besser wissenschaftlich erklären können, bedeutet das nicht automatisch, daß es keine bewußte Schöpferintelligenz geben kann, welche diese Vorgänge steuert. Die Natur lebt. Sogar der Stein. Alles Leben muß von einer bewußten Intelligenz gesteuert und geführt werden, sonst wäre Evolution nicht möglich. Es gäbe nur Chaos und Degeneration. Auch in den Elementen: Zwerge und Gnomen krümeln in der Erde, die Undinen wirbeln im Wasser, die Sylphen rauschen durch die Luft und die Salamander tanzen im Feuer. Jedes der vier Elemente ist beseelt und kann auf den Ruf anderen Lebens reagieren – wie sonst hätte Jesus dem Sturm auf dem See Genezareth Einhalt gebieten können?
Jeder Verein, jede Firma, jedes Volk will geführt sein. Warum also soll es keine Herren über das Feuerelement geben, keine Götter der Luft oder des Wassers, keine Mutter Erde? Ist der Wettergott Zeus bloße Erfindung kindischer Phantasie? Gibt es tatsächlich keine Göttin des Frühlings? Ist Pelé nichts weiter als eine nette Sage?
Ah, aber die alten Götter sind allzu menschlich, mag man einwenden. Zeus verwandelte sich beispielsweise gerne in einen Stier und stellte schönen Menschenfrauen nach (seinem Vater Kronos hatte er sogar das Gemächt abgeschnitten) und Pelé zankt sich ständig mit der Schneegöttin Poliahu, ihrer Schwester. – Solche Mythen kann man doch nicht ernst nehmen!
Natürlich nicht. Ebensowenig wie das sich lange hartnäckig gehaltene Gerücht, Elvis Presley sei gar nicht gestorben, obwohl im August 1977 alle Welt vernahm: „Der King ist tot.“ Selbst wenn wir nicht glauben, daß Elvis Presley noch viele Jahre inkognito weitergelebt habe, kämen wir trotzdem nie auf die Idee, seine Existenz ganz bestreiten zu wollen. Die alten Götter haben es zugegeben etwas schwerer als der „King“, weil von ihnen keine Film- und Musikaufnahmen existieren.
Dafür verfügen sie über etwas, von dem Elvis Presley nur träumen konnte. „Aus den Tiefen der Erde kommend“, steht im Hawaiianischen Touristenführer über Pelé, „werden wir Zeuge ihrer unvorstellbaren Macht.“ Die Menschen fürchteten sich vor Gott, wie Er sich in der Natur manifestiert, weil sie diese Urkraft nicht kontrollieren konnten. Also wurden diesen Naturgöttern allzumenschliche Schwächen angedichtet. Solch unvollkommene „Götter“ kann das menschliche Ego eben viel besser verkraften; außerdem lassen diese sich im Gegensatz zu den Wirklichen durch Opfergaben bestechen. So bastelten sich die Menschen Götter nach ihrer eigenen Vorstellung – und vergaßen dabei ganz, daß der Mensch nach dem Ebenbild Gottes erschaffen wurde – nicht umgekehrt.
Solches Denken führte dazu, daß die Hawaiianer 1824 in Scharen zum Christentum übertraten. Damals wurde die Inselgruppe von Missionaren der Zeugen Jehovas heimgesucht, die den traditionellen Glauben der Inselbewohner auszumerzen trachteten. Ihre Herrscherin, Prinzessin Kapiolani, wollte den christlichen Missionaren jedoch beweisen, daß ihre Göttin Pelé weit machtvoller sei als Jesus. So begab sie sich zur Heimstatt Pelés, nicht um ihr zu huldigen, sondern, um sie herauszufordern, daß sie die Realität ihres Seins beweisen solle – am besten durch einen Ausbruch. Als sich im brodelnden Lavasee nichts Außergewöhnliches tat, begann die enttäuschte Kapiolani, die Göttin lautstark zu schmähen und aß gar von den Opfergaben. Daraufhin geschah – noch immer nichts. Weil Kapiolani ihre Götterlästerung, die folgenlos geblieben war, vor vielen Tausend Zeugen gemacht hatte, konnte sie nicht anders, als den neuen christlichen Glauben anzunehmen. Die meisten Hawaiianer taten es ihr nach.
Ist dies nun ein weiterer Beweis für die Nichtexistenz von Pelé? Oder beweist Kapiolanis Erfahrung bloß, daß sich die für das Leben auf diesem Planeten verantwortlichen Naturgötter nicht vom kindischen Verhalten der Menschen provozieren lassen?
Manchmal soll sich Pelé sogar in einer menschlichen Gestalt zeigen, dann meist als wunderschöne junge Frau oder runzelige Alte, welche die Barmherzigkeit der Hawaiianer prüft. Es gibt viele Geschichten über Begegnungen mit Pelé, doch kaum je Zeugen. Bei Gordon Mores ist das anders. Der weiße Schriftsteller lebt seit vielen Jahrzehnten auf Hawaii und erinnert sich an jenen Tag im Jahre 1955, als sei es gestern gewesen: „Damals hatte ein Lavafluß in der Nähe von Puna viele Zuckerrohrfelder zerstört. Ich war ein junger Journalist und wurde mit drei Kollegen in jenes Gebiet geflogen, um darüber zu berichten.“ Da entdeckten die Reporter eine junge Hawaiianische Schönheit in traditionellem Gewand, die mitten in der Zerstörung saß. „Als wir sie am Boden erreichten, fragten wir sie erstaunt, was sie hier zu suchen habe, denn schließlich hatte der Zivilschutz alle Bewohner evakuiert. Doch sie blieb ganz gelassen und meinte, niemand würde sie von hier wegbringen. Sie lebe hier und außerdem, so erklärte sie uns schmunzelnd, habe sie hier noch eine Menge zu tun. Zurück in der Hauptstadt, berichteten wir den Behörden von unserer seltsamen Begegnung. Doch man sagte uns, es gäbe keine solche Frau, sie sei niemandem bekannt. Man kenne alle Personen, die in jener Gegend lebten, und jede einzelne davon sei rechtzeitig evakuiert worden. – Da wußten wir, daß wir Pelé gesehen hatten.“
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