Der Garten Eden ist nicht unwiderruflich verloren. Innovative Bauern besinnen sich auf die Ursprünge der Landwirtschaft, wo der Mensch den Boden noch liebte, der ihn nährt. Sie sind die Pioniere einer natürlichen Zusammenarbeit mit Mutter Erde – und betreiben im eigentlichen Wortsinn Agrikultur.
„Es geht nicht darum, die Natur zu verbessern, sondern darum, ihre Gesetze einzuhalten“, betont Patrick Holden. Der Biobauer leitete fünfzehn Jahre lang die Soil Association von Großbritannien. „Landwirtschaft ist ein Tanz mit der Natur. Man muss zur rechten Zeit eingreifen, von der Natur – und sogar vom Wald, dem ultimativen Ökosystem der Erde – lernen.“
So vereint das Wort Agroforst zwei Welten, die sich wunderbar ergänzen: Ackerbau und Forstwirtschaft. Im Agroforst säumen Bäume und Hecken die Felder oder stehen gleich mittendrin. Ihre Stämme sind umkränzt von Wildblumen und ‚Unkräutern‘, die sich ungehindert zwischen den ‚Nutzpflanzen‘ ausbreiten. Schmetterlinge tanzen durch die Luft und die Vögel jubilieren, weil sie endlich wieder ausreichend Schutz und Nistplätze finden. Ein bunter Strauß an Leben, das unser Auge erfreut und die Seele labt. Doch das scheinbare Chaos ist durchdacht, der farbenfrohe Reigen vom Mensch gelenkt.
Die Bäume bieten nicht nur Windschutz und Lebensraum für viele Tiere, mit ihren Wurzeln bewahren sie den Humus vor Erosion und bringen viel Kohlenstoff in den Boden. So binden sie Kohlendioxid aus der Luft und nähren das Erdreich. Zusammen mit den Wildpflanzen durchziehen sie die Erdkrume bis tief hinunter mit einem Geflecht aus Wurzeln. Das lockert die Erde, bringt Nährstoffe nach oben und durchlüftet den Boden. Zudem können nur die langen Baumwurzeln in den unteren Erdschichten Stickstoff aufnehmen, womit sie verhindern, dass dieser als Nitrat das Grundwasser belastet. Gras, das um die Bäume sprießt, hilft, Regenwasser sanft in den Boden zu leiten. Abgestorbene Wurzeln – ob von ‚Unkraut‘ oder Gräsern – sind ein Festschmaus für die Bodenlebewesen. Die Wildblumen ziehen Insekten an, welche Läuse und andere „Schädlinge“ fressen, die sonst auf der Suche nach geschwächten Pflanzen die Gegend unsicher machen würden. Auch die Vögel beteiligen sich an dieser Polizeiarbeit.
Aus Erfahrung weiß man, dass besonders Getreide von der Agroforstmethode profitiert: Die Konkurrenz um Licht zwischen Bäumen und Kulturpflanzen bewirkt eine spätere Reife beispielsweise des Weizens. Das steigert die Qualität, der Eiweißgehalt im Korn ist wesentlich höher. Nicht zuletzt spenden Bäume Schatten – dem auf dem Feld schwitzenden Bauern ebenso wie dem Acker, der es kühl und feucht mag. Und wenn der Landwirt auf das Geld angewiesen ist, so kann er selektiv Bäume fällen und neu aufforsten. Auf diese Weise verdient er doppelt am Boden.
Vom „Law of Return“ spricht man üblicherweise, wenn es um das Recht von Flüchtlingen geht, in ihre Heimat zurückkehren zu dürfen. Derselbe Begriff gewinnt aber auch immer größere Bedeutung in der Landwirtschaft. Dort weist das „Gesetz des Zurückgebens“ auf etwas hin, das für die ganze Menschheit in allen Bereichen von enormer Wichtigkeit ist: Dass wir nämlich nicht nur nehmen dürfen.
„Auf meinen Feldern fahre ich immer zweigleisig“, erklärt der amerikanische Biobauer Bob Cannard. „Die eine Hälfte des Landes baue ich für den Menschen an, die andere Hälfte wird für die Natur bestellt.“ Will heißen: Cannard sät wechselnde Pflanzen aus, die nur der Bodenverbesserung dienen. Seine Äcker sind ein fröhliches Durcheinander aus Kreuzblütlern wie Wicke, Klee und anderen ‚Unkräutern‘, gesprenkelt mit Kartoffeln und weiteren Nutzpflanzen. ‚Schädlinge‘ sucht man vergeblich; dafür ist die Erde krümelig und weich, voller feinster Wurzeln und Moder, den Pilze und Mikroorganismen über alles lieben. Und auch der Mensch erhält mehr als genug zu futtern: Mit seiner Methode erntet der Landwirt aus jeder gepflanzten Knolle vierzehn ebenso große Kartoffeln. Das wäre auch im konventionellen Chemikalien-Landbau sehr viel. Bob Cannards Credo lautet denn auch: „In den Gärten der Zukunft müssen wir die Natur ebenso nähren wie die Menschen.“ Feed the Soil heißt der englische Slogan – nicht die Pflanze nähren, sondern den Boden!
Die tun es nämlich selbst auch! Von der Wurzel bis zur Blattspitze geben Pflanzen Nährstoffe ab, die das Wachstum von Bakterien und Pilzen fördern. Im Boden herrscht ein reges Geben und Nehmen, es siedeln sich eine Million Bakterien pro Teelöffel Erde im Umkreis des Wurzelsystems einer Pflanze an. Die Wurzeln ernähren Bodenpilze und andere Mikroorganismen mit Einfachzucker, Protein und Kohlenhydraten und werden von diesen im Gegenzug vor Krankheiten beschützt. Die Mikroflora im Boden weiß ihrerseits ganz genau, ob die Pflanze gerade gekeimt hat, sich im Wachstum befindet oder kurz vor der Reife steht. Entsprechend wird die Nährstofflösung für die Wurzeln exakt auf die momentanen Bedürfnisse der Pflanze abgestimmt. Tatsächlich ist die Erdkrume das eigentliche Verdauungsorgan der Pflanze.
Mit dem Boden ist alles verbunden, auch der Mensch. Und so müssen wir uns nicht wundern, dass wir auch Beton im Darm haben, wenn die Ackerscholle wie Beton ist. Die gesunden Bakterien in unserem Verdauungstrakt unterscheiden sich nämlich nicht wesentlich von der Mikroflora im Erdreich.
Ein gesunder Mutterboden ist zudem voller Einzeller, die Unmengen an Bakterien fressen. Ihre Ausscheidungen sind bester natürlicher Dünger. Das reichert den Boden mit genügend Stickstoff und Spurenelementen an, dass alles in ihm wachsen kann – ohne chemische Düngemittel!
Diese Symbiose zwischen Pflanzen und Bodenlebewesen ist so stark, dass biologisch gezogenes Gemüse im Extremfall sogar vor den Auswirkungen radioaktiven Niederschlags sicher ist. So geschehen in Peuerbach: Als im April 1986 der Atommeiler von Tschernobyl in die Luft flog, lag das niederösterreichische Dorf mitten in der Schneise des radioaktiven Fallouts. Noch heute weist die Gegend deswegen eine erhöhte Krebsrate auf. Im Herbst des Unglücksjahrs verhängten die Behörden ein Verkaufsverbot für sämtliches Wurzelgemüse der Region, weil es radioaktives Cäsium enthielt. Einzige Ausnahme war der Biohof des Bodenpioniers Siegfried Lübke. Sein Gemüse wies trotz mehrmaliger Tests keine Radioaktivität auf. Die gesunde Mikroflora in Lübkes Äckern verhinderte, dass die Pflanzen das strahlende Element aufnahmen.
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